Lieber Herr Nitzschke,
besten Dank für den Sonderdruck Ihres Artikels über den Fall Reich. Ich meine, daß Sie mit dieser Arbeit ein wichtiges Stück Aufklärung zur Geschichte der Psychoanalyse geliefert haben, auch, daß damit das übliche Ignorieren oder Umgehen des Themas und das dreiste Fälschen der Tatsachen á la Jones* erschwert wird. Vielleicht wird es jetzt auch besser möglich, den Konflikt Freud/Reich inhaltlich zu rekonstruieren – obwohl zu erwarten ist, daß daran kaum Interesse besteht, weil man wohl meint, heute theoretisch längst weit darüber hinaus zu sein.
* der dies allerdings zu einer Zeit tun konnte, als viele Zeitzeugen noch lebten, offenbar ohne befürchten zu müssen, daß diese seine Fälschungen als solche bloßstellen – was zu denken gibt.
Die bisher unveröffentlichten Dokumente, aus denen Sie dankenswerterweise wichtige Passagen zitieren, machen noch deutlicher als es bisher schon war, um welch einen komplexen Vorgang es sich hier gehandelt hat. Ich stimme Ihnen zu, wenn Sie Reichs politischen Aktivismus als wichtigen Unterschied zu anderen marxistischen Psychoanalytikern hervorheben. Doch entnehme ich den neuen dokumentarischen Stücken eher eine Bestätigung meiner Auffassung, daß der tiefere Grund für die Ausstoßung Reichs, auf jeden Fall bei Freud selbst, trotz einiger Überlagerungen (Reichs "schwierige" Persönlichkeit, sein politischer Aktivismus) ein "wissenschaftlicher" war; die Politik scheint vorgeschoben: vgl. Freuds Anmerkung zu Reichs Maso-Artikel und Bernfelds "Erwiderung". Freud und Reich waren in einem ganz fundamentalen "anthropologischen" Sinn Antipoden. – Sie sehen schon an den sich häufenden "...", daß ich hier viel zu erläutern hätte, um nicht falsch verstanden zu werden, und dafür ist hier nicht der rechte Platz.
Deshalb nur noch eher stichwortartig ein paar Gedanken parallel zur Lektüre Ihres Aufsatzes:
Reichs politische Aktivitäten scheinen mir, nicht zuletzt auch aufgrund Reichs eigener Darstellung, heute (manchmal in wohlmeinender Absicht) oft überschätzt zu werden. Zeitgenossen jedenfalls ist er damit kaum aufgefallen; kaum einer erinnert sich an ihn. Historiker haben ihn, die Sexpol etc. nicht wahrgenommen.
Überschätzt wird wohl auch die Feindschaft der NS. Auch hier fehlen Belege. Nach dem Anschluß Österreichs waren vielmehr deutsche Behörden bemüht, die befürchtete Abschiebung des nun automatisch zum Deutschen werdenden Österreichers aus Norwegen nach Deutschland durch ein Ausbürgerungsverfahren zu verhindern und seine Abwanderung in die USA zu unterstützen.
Bisher überhaupt nicht gesehen wurde Reichs Verhältnis zum Judentum, das sich von dem Freuds, aber auch Fenichels, Bernfelds u.a. wohl deutlich unterschied; ein subtiler, schwer zu eruierender Faktor, der zu Reichs eigentümlicher Situation innerhalb der PsA (fast von Beginn an) durchaus beigetragen haben könnte.
Am wichtigsten freilich, auch am "aktuellsten", keineswegs nur historisch von Interesse, scheint mir die oben genannte "Antipodizität" Freud/Reich, die Freud durch sein zähes öffentliches Schweigen zu und sein kulissenpolitisches Kaltstellen von Reich letztlich deutlicher äußerte als Reich. Aber das wäre ein Buch...
Also, nochmals meinen Dank für Ihre wichtige Arbeit, und beste Wünsche für die zukünftige
Ihr
Bernd A. Laska