In einem Redemanuskript über Stirner (Aufstand des Ich. Max Stirners „Der Einzige und sein Eigentum“, 2005) schreibt der Philosoph Reinhard Haneld:
In der Tradition der Radikal-Aufklärer Mandeville und LaMettrie sieht Stirner die verhängnisvolle Aufspaltung der menschlichen Existenz in ein (reales, schuldbeladenes, ewig unzulängliches) Sein und ein (moralisches, ideales) Sollen. Aus dieser Spaltung resultiert eine andauernde geistige und physische Unterdrückung, eine wahnhafte, kankmachende Selbstquälerei.
Diese Stelle und der Rest von Hanelds Aufsatz wirkt ganz im Sinne von LSR geschrieben, wenn die Gleichstellung von Mandeville und LaMettrie nicht alles unter einen Schatten stellen würde. Das sieht man auch, wenn Haneld es nicht lassen kann, nicht nur Mandeville, sondern desgleichen De Sade, Foucault, Derrida und andere dieser Sorte neben LaMettrie und Stirner einzureihen.
Die scheinbar unausrottbare Verachtung, die hinter dieser untergründigen Gleichsetzung des Unverträglichen steckt, wird anhand von neun, einigermaßen gleichmäßig verteilten Stellen auf den ersten fünf Seiten des 13seitigen Manuskripts deutlich, die Laska angestrichen und durchnumeriert hat. Stirner (über den wir so gut wie nichts wissen) und sein Werk wird mittels unangebrachter Psychologisierung und „Biographisierung“ depotenziert:
Stirners Buch sei „den Erschütterungen eines verfahrenen, vertanen Lebens abgerungen, das Resultat einer quälenden Suche nach sich selbst.“ Es sei „das Produkt einer komplexen, gleich dreifachen Misere“, nämlich der Enge, Unfreiheit und des Elends der damaligen Gesellschaft und Philosophie „sowie der privaten Verzweiflung eines bedrängten, glücklosen Menschen“. Das Werk, sei „einem beklagenswert trüben, verfahrenen und unentfalteten Leben abgerungen“.
„Der Halbwaise durchlebt anscheinend eine lieblose Kindheit, ohne den bergenden Schutz von Heimat und familiärer Sicherheit.“ Theoretisch hätte der Student Stirner „auch Arthur Schopenhauers Vorlesungen [hören] können, eine Gelegenheit, die er wohl verpaßte.“ Ob Haneld an Nietzsche dachte, als er über Stirner fortfährt: „Vielleicht hätte eine solche Begegnung, seinem Denken frühzeitig eine andere Richtung gegeben“?
Die Hegelsche „Integration des Subjekts ins gesellschaftlich Allgemeine, den Staat und die bürgerliche Familie“, sei Stirner verwehrt gewesen. „Er kommt nirgendswo an, am wenigsten bei sich selbst.“ Wobei Laska mittels Anstreichungen und Pfeilen auf den anschließenden Absatz verweist, wo Haneld zunächst auf die Parallele zu Georg Bücher anspielt:
Beide neigen zum Materialismus und empfinden den Riß zwischen Denken und Sein mit der gesteigerten Sensibilität des an seiner Entfaltung gehinderten jungen Intellektuellen. [Stirners] eigene Misere bildet die Erfahrungsbasis seines späteren Werks. Während seine avancierten Zeitgenossen sich noch in enger, aufs Christentum fixierter Religionskritik erschöpfen, sieht er in der Gesamtheit der Werte, Institutionen und Ideale der Gesellschaft jenes sanktionierte „Heilige“, das seit jeher den Menschen beherrscht, tyrannisiert und ihm den Weg versperrt, zu sich selbst zu finden.
Hat Haneld nicht oben behauptet, Stirner habe nicht zu sich selbst gefunden, weil er ansonsten „nirgendswo ankam“?!
Angesichts von Stirners Anstellung an einer Schule und dem Beginn des Verfassens seines Buches ist wieder die Rede von einem „bereits beschädigte(n) und zerfahrene(n) Leben“. Und mit größerem Abstand der Punkt 9: „Soweit die Geschichte eines bedrückend kläglichen Lebens, das verfahren und unentfaltet halbwegs erstickt an der Enge, Borniert und Unfreiheit einer verzögerten und verspäteten Moderne und ihrer versteinerten Verhältnisse.“ Höre ich hier Anklänge an Marx‘ „Diagnose“, Stirner sei ein „Kleinbürger“ gewesen? Hier spricht die gleiche Verachtung, die von durchweg allen auch LaMettrie und Reich entgegengebracht wird, egal ob es ausgesprochene Gegner sind und vermeintliche „Freunde“.