(...) wer den Niedergang der "geistigen Situation" – die doch nicht nur in Deutschland zu konstatieren ist, sondern im gesamten Westen – den Nazis aufbrummen will, verklärt damit m.E. nur seine Ratlosigkeit angesichts dieser Entwicklung "in Freiheit" seit nunmehr sechs Jahrzehnten. (...)
(Das ist v)ielleicht nicht abstrakt, aber doch zugegebenermassen pauschal, andeutend, raunend, auf eine gewisses Vor- und Einverständnis des Adressaten rechnend, auf zumindest ein diffuses, gleichwohl deutliches Empfinden eines "Niedergangs". Letzteres scheint durchaus verbreitet zu sein, bleibt aber meist latent, wird ungern zugegeben, weil es schwer zu fassen ist, auch geschützt von gewissen Tabus unserer "freiheitlichen" Gesellschaft, die sich prinzipiell "at the end of history" angekommen wähnt, jedenfalls keine andere Zukunftsvision mehr hat als die, sich zu "globalisieren". Es gibt allenfalls noch das Popper'sche Konzept des "piecemeal improvement", das aber auf dem "freien Markt", wo die Mehrheit das Sagen hat (als Nachfrager und Wähler) stark zu "Disneyisierung, BigBrother, Superstars" in allen Bereichen tendiert. Darüber wird natürlich von den Gebildeten verschiedenster Herkünfte geklagt – aber das sind nur die augenfälligsten Symptome jenes Niedergangs und eher sekundäre... Ich meinte hier mehr die "geistige Situation" – ohne freilich von der unlösbaren Verfilzung der Sphären abzusehen.
Ich meine auch nicht, dass es zu Zeiten, als "Metaphysik der Bürgerlichen oder die Theologie des Mittelalters" die geistige Welt beherrschten, besser war. Im Gegenteil: ich meine, dass es ein wesentlicher Zug des Niedergangs ist, dass Metaphysik, Theologie etc. in vielerlei Variationen nicht nur noch immer präsent sind, ja, dass sie Oberwasser gewonnen haben; dass "die Aufklärung", die einst angetreten war, sie zu überwinden, vor ihnen in fundamentalen Fragen zurückweicht, klein bei gibt bzw. sich ihnen anverwandelt (ich denke dabei nicht nur etwa an Habermas' jüngste "Besinnung").
Das ist nun nicht einmal die gewünschte "Skizze" dessen, was ich oben meinte, allenfalls ein weiterer Hinweis, dass es mir um das "Verenden", das sang- und klanglose, undeklarierte und vor allem offenbar nicht deklarierungsbedürftige Aufgeben des grossen europäischen Projekts der "Aufklärung" im 20. Jh. geht.
Dieses Projekt wurde bis in die späten 1930er Jahre noch von einer Vielzahl von hochkarätigen Denkern und Denkrichtungen (Marxismus, Psychoanalyse, Wiener Kreis, Austromarxismus u.v.a.) mit Engagement und Optimismus betrieben. Aber "irgendwie" kam dann, mit/nach Stalin und Hitler, schleichend das "Aus", die Selbstaufgabe jedes genuin aufklärerischen Denkens.
Horkheimer, der mit seiner "kritischen Theorie" bis ca. 1938 die Aufklärung noch auf den Stand der Zeit bringen wollte (als Fazit aus Kant, Marx, Nietzsche, Freud), meinte 1944, es gäbe bereits die "vollends aufgeklärte Erde" (!), und diese "strahle im Zeichen triumphalen Unheils", und er meinte nun, die seit der Antike wirksame "Dialektik" aller Aufklärung entdeckt zu haben usw. usf. Das alles und viel mehr ist ja weithin bekannt und viel diskutiert worden.
Mir erschien jedoch alles, was ich zu dieser Thematik las, bei aller Gelehrsamkeit und Ausgefeiltheit, letztlich als ein Ausweichen vor dem elementaren Faktum, so dass ich vom blossen Rezipieren der Ideen Anderer abkam und eigene Wege ging, um den mir unmittelbar evidenten "Niedergang" zu verstehen. (...)