(...) Als ich 1975 – es war die Zeit der aus dem zerfallenen SDS hervorgegangenen sog. K-Gruppen – per Zeitungsanzeigen eine "Wilhelm-Reich-Studiengruppe" zusammenbekommen wollte, da war mein Motiv (auch) ein sehr persönliches: Gesinnungsgenossen zu finden. Es war aber, wie sich bald herausstellte, ein sehr naives: denn über die Chiffre "Reich" lernte ich, anders als erwartet, zahlreiche Leute kennen, deren Gesinnung mir ziemlich fremd war. So machte ich einige Jahre die WRB [Wilhelm Reich Blätter], eine Zeitlang noch mit gewissen Hoffnungen, dann aber zunehmend frustriert und verärgert über die Gemeinheiten, die die sich bildende Reich-Szene kennzeichneten. Was blieb, sind einige lockere persönliche Verbindungen zu Menschen, die insofern ähnlich wie ich dachten, dass sie trotz/wegen ihres intensiven Interesses an Reich sich von der Reich-Szene abwandten.
(...)
Anfangs, in der Entdeckerphase – wo ich z. B. überglücklich war, wenn ich wieder ein Stück aus den noch weitgehend unzugänglichen Schriften von irgendwoher als Kopie bekommen konnte – in dieser sehr aufregenden Zeit, wünschte ich nichts mehr, als dass Reich "Recht hatte", gegen alle Welt. Wie er wohl selbst auch, glaubte ich daran, dass sich dies auf naturwissenschaftlichem Gebiet am ehesten erweisen liess ("Bombe für die Physik"). Ich war ja als TH-Student bzw. -Absolvent auch viel näher dran an diesen Bereichen als die sonstigen Reichleute, die meist so oder so "geisteswissenschaftlich" orientiert waren. Ich glaubte also, ich könnte da schon was stemmen, vertiefte mich in allerlei Studien, sammelte "Beweise" der Art, dass andere seriöse Forscher auf ihren Gebieten (aber isoliert) zu ähnlichen Ergebnissen gekommen waren wie Reich, der (aber eben nicht isoliert) ein Ganzes daraus gemacht hatte (das Corpus der Orgonomie), wenigstens rudimentär. Etwas von diesen Studien ist in mein 1981 erschienenes Reich-Buch eingeflossen (wo ich es auch in der in Kürze erscheinenden 6. Auflage drin lasse, obwohl ich es inzwischen nicht mehr für so wichtig halte).
Mit den Jahren sah ich Leben wie Werk Reichs jedoch skeptischer, kritischer. Ich war ja niemandem verpflichtet: nicht einer akademischen Karriere, nicht einer Reich-Sekte, nicht einmal Reich, aber auch nicht einem Publikum, das ich mir zwecks Absatz meiner Ideen bzw. Publikationen gewogen halten musste. Reich war mein Lebensthema geworden, und ich wollte erforschen, warum gerade er. Oder auch: warum gerade (einer wie) ich mich so in einen Denker verknallt habe, zu dessen direkten Arbeitsgebieten, zunächst also einmal Psychotherapie, ich keine besondere Affinität hatte.
(...) wie kann ich, der ich weder jemals Patient/Klient noch Therapeut war, ernstlich behaupten, ich könnte Reich als Psychotherapeuten besser oder richtiger beurteilen als Tausende Anderer, die Jahrzehnte praktisch und theoretisch auf diesem Gebiete gearbeitet haben? Es gibt Viele, die das tun. Ich kann das aus Redlichkeit – mir selbst gegenüber – nicht.
Gleichwohl liess mich – oder: liess ich – Reich nicht los. Ich wollte herausfinden, wie das kommt. Naheliegend wäre gewesen, eine Reichsche Therapie zu machen, zur "Selbstfindung" o.ä. Aber da hätte es einen Therapeuten geben müssen, den ich dafür als geeignet gehalten hätte. Ich sah mich um und sah – niemanden...
Soweit genug, ich kann natürlich hier meinen "Werdegang" nicht ausmalen. Wer sich dafür interessiert, kann ihn äusserlich am Gang meiner Publikationstätigkeit ablesen. (…)