(...) Reichs Konzept von Gesundheit ist ja gerade oft Stein des Anstosses, insbesondere bei Schwulen und "Schwulophilen", die ja heute keine marginale Gruppe sind. Es wird als normativ im Sinne einer überholten Vorstellung abgelehnt. Ich sehe darin eher einen Vorwand, eine Abwehr des, jetzt kommt's wieder: Kerns der Reichschen Lehre. Man nimmt schwache oder unklare Stellen bei Reich her, um ihn total zu verwerfen (oft reicht schon das "Orgon"). Es kömmt aber darauf an, ihn zu stärken. Letzterem gilt mein Bemüh'n, wobei ich meine, weit ausholen zu müssen und die gesamte Aufklärung (und die heutige Misere nach ihrem "Sieg") mit einzubeziehen. (...)
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Noch kurz zur "übertriebenen Betonung des Orgasmus" bei Reich:
M.E. ist das Wesentliche daran, dass es Reich schon Anfang der 20er Jahre darum ging, Kriterien für "Gesundheit" zu fordern, zu fragen, wohin die Therapie bei "Gelingen" führen soll.
Gutes Funktionieren, "Erfolg", in der Gesellschaft wie sie ist ("Arbeitsfähigkeit" etc.) oder die Parole "Wer heilt, hat Recht" hielt er nicht nur für suspekt, sondern der Perpetuierung des "Elends" (auch im Wohlstand) förderlich.
Das von ihm vorgeschlagene Kriterium der orgastischen Potenz brachte ihn immerhin in Technik und Theorie voran (sage ich mal als Laie). Wie viele Patienten er dahin gebracht hat, und was aus ihnen wurde, mag offen bleiben.
Er war aber mit Freud einig, der einmal sagte, die PsA trete als Therapie nicht in Konkurrenz mit z.B. "Lourdes" etc; es ginge nicht um Quoten, sondern um Erkenntnis des Menschen, der — "conditio humana". Reich, anders als Freud, war in dieser Auffassung konsequent, als er in den Bereich des Politischen ging und dort dem Übel an die Wurzel wollte — "zur sozialistischen Umstrukturierung", später "zur charakterlichen Selbststeuerung" des Menschen. (...)