Adorno hat auf seine alten Tage aber durchaus noch m.E. sehr Sinnvolles geschrieben, das aber leider so, als sei es ihm nur rausgerutscht, oder als eher verborgenes Vermächtnis.
"Negative Dialektik" 1966, S.269, beginnend mit den Verdiensten der Psychologie: sie erforschte "...die empirische Genese dessen, was, unanalysiert, Kant als zeitlos intelligibel glorifizierte." Bis S. 282 immer wieder mal ein paar zündende Gedanken (bzw. klärende Variationen des einen zündenden), dann wieder die bekannte und weniger gustiöse Adornity.
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Da will ich gleich mal ein bisschen nachlegen und, das Thema "Aufklärung" wieder anpeilend, das obige Zitat fortsetzen. Adorno fährt fort: "In ihren heroischen Zeiten hat die Freudsche Schule, darin eines Sinnes mit dem anderen, aufklärerischen Kant, die rücksichtslose Kritik des Überichs als eines Ichfremden, wahrhaft Heteronomen, gefordert..."
Wer jetzt nicht zum Buch greift und selber weiter liest, dem wäre wohl durch längeres Zitieren auch nicht beizukommen.
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N.B.: ich verteidige nicht Adorno, sondern äusserte nur meine Auffassung, dass die genannte Textpassage (Negative Dialektik, 1966, S. 267-283) eine selten vertretene und bedenkenswerte Position zu unserem Thema "Aufklärung" enthält.
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(...) Schon Freud selbst, wenngleich er hoffte, "dass der Intellekt – der wissenschaftliche Geist, die Vernunft – mit der Zeit die Diktatur im menschlichen Seelenleben erringen wird", schreckte vor einer Kritik des "Überich" zurück, und Ferenczi, den Adorno in dem genannten Abschnitt heraushebt und zugleich kritisiert, ebenfalls --> die apostrophierte "heroische Zeit" der Psychoanalyse verfiel, bevor sie voll zu Tage trat – ein Aspekt im Niedergang der Aufklärung im 20. Jh.
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Wie gesagt: ich bin sonst kein Anhänger Adornos, aber an jener Stelle rechne ich ihm hoch an, dass er – sozusagen mit letzter Kraft – versucht, eine, wenn nicht die wesentliche Idee von "Aufklärung" ( ~ Ausgang aus Unmündigkeit etc. ~ ) aufscheinen zu lassen (was "rationaler Mensch", "Autonomie" und "ges. Zwang" meinen, ist ja keineswegs klar, und schon gar nicht, dass und warum das "besser" ist als "irrat., Hetero., Freih.").
Natürlich kann Adorno dazu keine überprüfbare These liefern. Aber die genannte Passage in »Negative Dialektik« könnte Anstoss geben, Adornos Intention und Intuition (als "wisdom of a lifetime") ernst zu nehmen und weiter zu denken.
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(...) Die Hinterlassenschaft der "alten" Aufklärer, zu denen ich den Horkheimer der 30er Jahre und den Adorno des hier diskutierten Abschnitts zähle, erscheint mir zu kostbar, als dass man sie sich von den nachfolgenden flinken Überwindern zumüllen lassen sollte. Natürlich sollte man auch bereit sein, sie als in bester Absicht verfasste Begriffsdichtung ("in magnis voluisse sat";-) liegen zu lassen, wenn sich denn eine klarere und besser wissenschaftlich gestützte Theorie finden lässt, die – jetzt bin ich "parteilich" – die Aufklärung aus ihrer Paralyse zu führen geeignet erscheint.
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Es ist nichts gegen klare Worte und handfeste empirische Forschung einzuwenden. Diese Art Aufklärung wurde und wird von einer grossen Anzahl Sachkundiger seit langem betrieben. Aber wenn ich als "Laie" die Flut der Resultate sichte und beurteile – frag mich jetzt nicht nach den Kriterien und der Masse oder meiner Auswahl des gesichteten Materials – dann bleibt der Eindruck, dass da zwar schon gewaltig aufgeklärt, aber zugleich auch (unabsichtlich) sehr effektiv verdunkelt wird, und zwar vor allem in dem einen, dem wesentlichen Punkt: was denn "Aufklärung", wie sie in Europa seit der Antike, mit grossen Unterbrechungen und Rückschlägen, betrieben wurde, intendierte.
Das war schon zu Zeiten Adornos so, und so verstehe ich auch den besagten Abschnitt von »Negative Dialektik« als ein letztes Aufbäumen gegen diese Flut "positivistischen" Wissens, die die Kernidee davon, was "Aufklärung" sei oder sein könnte, vollends zu verschütten droht, bevor sie sich wirklich entfalten konnte. Der Abschnitt erscheint mir ausserdem als Dementi der resignativen Idee von der "Dialektik der Aufklärung", die Adorno (mit Horkheimer) 1944 in eine Welt setzten, der sie wie gerufen kam.
1966, zwecks Dementi, beschwor Adorno dann "heroische Zeiten" der Psychoanalyse, die es nie gab, und polemisierte gegen das "Über-Ich" als Inbegriff von Heteronomie. Da steht dann z.B. der trotzige Satz (S. 272): "Das Gewissen ist das Schandmal der unfreien Gesellschaft." Das und einige z.T. schon zitierte Stellen des Abschnitts ist in meinen Augen ein "Geraune" (...) Adornos, das in Hinblick auf eine Aktualisierung des Themas Aufklärung ernst zu nehmen ist. Ich weiss aber nicht, ob man mit "Hirnforschung in Verbindung mit der analytischen Philosophie" im gegenwärtigen Stand da wirklich heran kommt. Ich habe jedenfalls zunächst versucht, mich der Sache historisch zu nähern, z.B. in einer Arbeit zu dem frühen "anarchistischen Psychoanalytiker" Otto Gross, in der auch der von Adorno herangezogene Ferenczi und natürlich Freud eine wichtige Rolle spielen. https://www.lsr-projekt.de/gross.html