Email [über Reich, Freud und Rationalität] 1999

BERND A. LASKA, aus dem LSR-Archiv

(…) Ich denke, es ist heuristisch vorzuziehen, Reich als Antipoden zu Freud zu sehen und beider Gemeinsamkeiten als weniger bedeutsam zu vernachlässigen. (…) Freud hat dies erkannt und Reich – ohne ein Wort gegen ihn zu veröffentlichen! – vernichtet. Er konnte sich dabei des stillschweigenden Einverständnisses aller Psychoanalytiker sicher sein. Alle empfanden Reich als Fremdkörper, aber keiner wollte eine öffentliche Argumentation. Auch darin ist der Fall Reich verschieden von den anderen Freud-Dissidenzen.

Sie werden fragen: Heuristisch wofür?

Zu welcher neuen Erkenntnis führt es, den Gegensatz zwischen SF und WR herauszuarbeiten? Und worin besteht er eigentlich genau? Einer Antwort auf diese Fragen steht Ihre Ansicht im Wege, daß beide, SF und WR, unbestätigte Behauptungen aufgestellt hätten und daß diese Gemeinsamkeit all ihre Gegensätzlichkeiten überschatte. Sie sagen: 1) Die Theorien beider genügen gleichermaßen nicht wiss. Anforderungen. 2) das ist das Entscheidende, was letztlich zählt. Ich sage: zu 1) meinetwegen; zu 2) Nein.

(…)

Gut, aber es gibt so viele Empiriker, die nicht rational sind – ausserhalb ihres speziellen Fachgebietes. Das ist für mich evident. Insofern bin ich der Auffassung, daß Rationalität einen umfassenderen Bereich darstellt als Wissenschaftlichkeit. As you see, I also hold a very simple view as to the question of science. "Wissenschaftlich" und "rational" sind nicht verschiedene Bereiche, aber der "rationale" Bereich umfaßt mehr als der in Ihrem Sinne "wissenschaftliche". Das alles sind freilich Sätze, die einer genaueren Erläuterung bedürften. Ihre Position ist insofern klar, als Sie sich auf den philosophischen "mainstream" der Gegenwart berufen. Ich bin da in einer weniger glücklichen Lage. Daß ich ausgerechnet Reich (der oft als Irrationalist angesehen wird und jedenfalls fast nur von Irrationalisten verehrt wird) zu einem meiner "Helden" (für eine erweiterte Sicht von Rationalismus) gemacht habe – machen mußte – macht meine Sache nicht leichter (La Mettrie und Stirner haben auch keinen guten Ruf).

Wenn ich meinte, meine Position sei mit einer kurzen Abhandlung darstellbar, hätte ich diese längst geschrieben. (…)