Ich trau's mich kaum in diese Runde hinein zu rufen, aber:
Für mich ist klar, dass nicht "Gott" irgendein Problem darstellt, sondern allein die Tatsache, dass - auch "nach der Aufklärung" (...) - noch immer so viele Menschen an "Ihn" glauben - darunter auch sehr viele, denen man einen Mangel an Verfügung über "zuverlässiges Wissen" (...) nicht ankreiden kann.
Auch das wäre kein Problem und unter dem modischen Titel "Toleranz" zu ignorieren, wenn nicht dieser Glaube – genauer: die psychische Verfassung von Menschen, die ihre "Identität" über die Zugehörigkeit zu einer Glaubensgemeinschaft "definieren" –, wie schon seit je, so fürchterliche lebenspraktische Resultate zeitigte, Resultate, die auch MICH (und Jeden) hier und heute behelligen.
Insofern sind Spott, Arroganz und intellektuelle Überheblichkeit, die (auch heutige) Rationalisten oft (wenn auch toleranterweise unausgesprochen) gegenüber den Kollektiven von Gottgläubigen (Religionsgemeinschaften) oder deren säkular erscheinenden Äquivalenten an den Tag legen, völlig unangebracht.
Wenn es heute, trotz des masslos aufgeblähten Wissenschaftsbetriebs, an "Wissen" dringend fehlt, dann darüber, wie diese vermutlich ca. 6000-jährige "religiöse" Etappe der menschlichen Evolution abzuschliessen, die Aufklärung zu vollenden wäre. Gegenwärtig sieht es eher nach einer Phase des rollback aus.
(...)
Es kommt gewiss auch darauf an, was mit "Atheismus" gemeint war und ist und sein könnte.
Bayle: Auch ein Atheist kann ein moralisch integrer Mensch sein.
La Mettrie: Nur ein Atheist kann ein moralisch integrer Mensch sein.
Danach Konfusionen zu hauf, z.Z. ist, nach einem religiösen rollback, die zaghafte Bayle'sche Position gelegentlich wieder zu vernehmen. La Mettrie ist weit weg.
Sie sehen: es geht nicht darum, "ob was dran ist", ob es einen "Gott" gibt, gar, ob man seine "Nichtexistenz" beweisen kann oder nicht, sondern – im Telegrammstil – darauf, wie und mit welchem praktischen Resultat "Moral" in die (jungen) Menschen gepflanzt wird.
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Dieser Streit um die Existenz "Gottes" erschien mir schon immer als müssigst.
Das eigentliche Problem ist doch die Existenz der an "Gott" Glaubenden – vor allem, weil dieser Glaube (...) wie die Geschichte überreichlich zeigt, das gesellschaftlich-politische Leben auf das Übelste beeinflusst und prägt.
Viele Atheisten scheuen sich dennoch, dies hervorzuheben, kämpfen vielmehr um die Anerkennung des Satzes, AUCH ein Atheist könne ein moralischer Mensch sein etc. Angesichts der jahrtausendealten Dominanz des Religiösen (deren rezentes Schwinden in mehrerlei Sinn sogar fragwürdig ist) fühlen sie sich – aller wissenschaftsbasierten Überlegenheit zum Trotz – im Grunde als in einer unklaren Defensive stehend, auch wenn sie gelegentlich forsch auftreten. (...)