Friedrich Kraus --> Wilhelm Reich: "vegetative Strömung" (Entwurf 2006)
BERND A. LASKA, aus dem LSR-Archiv
Als ich um 1980 die Rowohlt-Bildmonographie über Wilhelm Reich schrieb, hielt ich es für wichtig, Reichs sonst meist vernachlässigten "Weg zur Orgonomie", also den Lebensabschnitt von ca. 1934-1938, in dem Reich den Übergang vom Psychoanalytiker zum "Orgonomen" vollzog, in seinen wichtigsten Etappen darzustellen, auch auf Kosten der in dem vorgegebenen Rahmen ohnehin nicht adäquat präsentierbaren Orgonomie. Das entsprechende Kapitel (S. 86-102) umfasst denn auch ungefähr ebenso viele Seiten wie das über die Jahre 1939-1957 (S. 104-118). Ich wollte damit, wie schon zuvor in einigen Artikeln der Wilhelm-Reich-Blätter, die verbreitete Auffassung eines dramatischen Bruchs in Reichs Werkbiographie und die auch unter Reichianern übliche Kontrastierung eines "frühen" gegen einen "späten" Reich in Frage stellen.
Meine damalige Anregung, Fachkundige mögen Reichs durchaus nicht abrupte Entwicklung zum "Orgonomen" aus medizinisch-biologischer Sicht genauer untersuchen, zeigte kaum Wirkung. Der bei Reich ab 1934 fundamentale Begriff der "vegetativen Strömung" wurde bisher kaum näher betrachtet. Er stammt aus Friedrich Kraus' Hauptwerk "Klinische Syzygiologie" (...), das Reich 1927 mit kritischer Begeisterung rezensiert hat. Stefan Müschenich geht in seiner gründlichen medizinhistorischen Dissertation über den Gesundheitsbegriff bei Reich (...) bisher am ausführlichsten auf dieses Thema ein, konstatiert aber, dass Kraus' Arbeiten zu komplex und umfangreich seien, um im Rahmen seiner Arbeit gewürdigt werden zu können (S.118); eine separate Dissertation sei dafür zumindest erforderlich (S.140).
Eine solche Dissertation, eine Monographie über Leben und Werk von Friedrich Kraus (1858-1936) ist 1999 erschienen. (...) Der Autor, Martin Lindner, [Die Pathologie der Person: Friedrich Kraus' Neubestimmung des Organismus am Beginn des 20. Jahrhunderts]