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[Jan Hendrik van den Berg] Lektüren 1981 (nach alten handschriftlichen Aufzeichnungen)
BERND A. LASKA, aus dem LSR-Archiv
25.2.81
Jan Hendrik van den Berg (holl. Nervenarzt und Psychologie-Professor): Metabletica* – Über die Wandlung des Menschen. Grundlinien einer historischen Psychologie. (orig. 1956). Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 1960, 240 S. (*=Lehre von den Veränderungen – metaballein)
aus dem Vorwort:
die gesamte Psychologie sei beherrscht von der Voraussetzung, dass der Mensch unveränderlich sei, auch die Neurosenlehre. Sie betrachtet das Leben eines vorigen Geschlechts als Variation auf ein bekanntes Thema.
V.d.B. geht vom Postulat der Veränderlichkeit aus, schreibt keine Geschichte der Psychologie. Historische Psychologie fragt nach dem Sinn, der Bedeutung der Veränderungen.
Motto des Buches: "...dass wir bis jetzt noch keine historische Psychologie haben ... Warum brachten das Mittelalter und die Renaissance völlig verschiedene Menschentypen hervor ?" (Karl Mannheim: Mensch und Gesellschaft im Zeitalter des Umbaus. 1958. S.18,19
S.14: Der Psychologe des 20. Jh., der untersucht, testet, die Praxis kennt usw. gibt Antworten, "zu denen er meist kein Recht hat, weil sie kein Fundament haben." Der Psychologe des 19. Jh. war Philosoph, konnte sich das leisten, weil niemand ihn fragte und er so auch keine Antworten geben brauchte. "War denn damals alles bekannt ? Kind wie erziehen ? Wie Frau behandeln, mit Arbeitern umgehen etc.?" --> v.d.B. Wahrscheinlich ja. Denn niemand fragte !
S.15: "Bevor der Psychologe an Antworten dachte, kamen die Fragen. Aber was ist denn geschehen ? Welche Kenntnis ging verloren ? <-- !!!
S.21: Über Kindererziehung findet man bei älteren Autoren nicht viel, war offenbar kein Problem, wurde allenfalls beiläufig erwähnt. Relativ viel steht im 1. Kapitel von Montaignes "Essays" (1580), 100 Jahre später John Locke "Gedanken über die Erziehung", nochmal 100 Jahre: Rousseau "Emile".
S.87: Unsere Vorfahren hatten keine Bücher nötig mit Ratschlägen, wie man sich verhalten solle, wie man persönliche Probleme löst. "Sie wussten, wie sie handeln sollten, denn sie handelten in einer Kontinuität."
S.110: Bei uns auf dem Lande ist die Kluft zwischen Erwachsenen und Kindern weniger gross als in der Stadt (Kinder mehr ins Erwachsenenleben integriert, ganz fehlt sie z.B. auf Samoa (-->M. Mead): dort keine Neurosen, auch keine ... grossen Liebschaften, keine "Verliebtheiten".
S.113: es gibt biologische und psychologische Sexualität. Psy. Sexualität wird von der Gesellschaft zugestanden. Annahme, psy. würde biol. unmittelbar folgen, wenn Gesellschaft nicht hinderte, ist falsch.
"Der Jugendliche (auch der junge Mann) kann in völliger Asexualität sein drittes Jahrzehnt anfangen – ohne dass diese Asexualität, auf welche Weise auch, den Eindruck liefert, das Resultat eines auf den Einzelnen ausgeübten Druckes zu sein. trifft den Jugendlichen überhaupt kein sexueller Appell, dann entsteht seine Sexualität nicht, vielleicht entsteht höchstens eine unbekannte Unruhe, und sogar das ist zu bezweifeln."
S.113: "Die Jugendlichen, die in der ihrem Alter korrelaten Enthaltsamkeit leben, bekunden eine Freiheit und Freude, die im Widerspruch steht zu der Einzwängung, die die biologische Theorie aus ihren Postulaten hervorgehen lässt. Der Jugendliche..." (Forts. voriges Zitat)
S.165-192 ganz interessant:
Ergebnis: Neurosen sind Soziosen -- erörtert zeitliches Zusammenfallen vom Entstehen der Neurosentheorie Freuds und Breuers und Durkheims Anomiebegriff (von der kranken Gesellschaft).
C ---> Rousseau / Erziehung ... Stirner / Eigner ... Nietzsche / Gott ist tot ... Marx / Entfremdung --- Freiheitsforderung etc.
Van den Berg kannte, aber erwähnte selten, das Werk von Norbert Elias (1939)