Die Tagebücher von Joseph Goebbels hg. v. Elke Fröhlich Teil I: Aufzeichnungen 1923-1941 Band 1/I: Oktober 1923 – November 1925 München: K. G. Saur Verlag 2004:
S.74 (14. Januar 1924) Ich lese Charles Sealsfields (Karl Postl) „Kajütenbuch“ und werde nach Beendigung dieser Lektüre noch über diesen starken Erzähler einiges zu sagen haben. [am 15. Januar 1924 ein Absatz mit großem Lob, später nicht mehr] Und dann werde ich mit Max Stirner beginnen: „der Einzige und sein Eigentum“.
S. 75 (15. Januar 1924) Ich bin ganz in Max Stirners „Einzigen“ gefangen. Das Buch wird mich einige Tage beschäftigen.
S. 76 (21. Januar 1924) Ich werde noch lange Zeit für den Stirner nötig haben. Das Buch ist heute sozusagen ein Gegengift für meine neuen Gedankenkreise. Man nennt das wohl allopathische Heilung.
S. 78f (24. Januar 1924) Ich müßte eine Rekompensation für Stirners 1. Teil haben. Ich arbeite mich mit Mühe dadurch. So modern der zweite Teil zu sein scheint, so ferne liegt uns heute der erste. Die Philosophie des Einzigen ist uns lieber geworden in der Nietz[sch]eschen Fassung, weil die doch über die Kathederphilosophie zum Ewig-Menschlichen emporschreitet. Stirner steckt noch zu sehr in den Schulen und Systemen seiner Zeit. Deshalb wirkt er stark polemisch. Er streitet mit Feuerbach um das Wesen des Christentums, wie ferne liegt uns das heute. Christentum als Philosophie ist etwas Gemeines. Die Theologen haben den christlichen Gedanken gemordet. Gott strafe es an ihnen! Ohne ihre aufsässige Arbeit wären wir heute weiter. Aber es geht doch letzten Endes um die Macht, die Frau und das Geld. Man kann die ganze Philosophie der Welt auf eine höchst einfache Formel bringen: Nur zwei Handbewegungen. Und diese zwei Handbewegungen sprechen allem Idealismus Hohn.
S. 80 (25. Januar 1924) ... [über einen Hermann Essig und dessen Schreiben über Erotisches] Zurück zu Stirner! Die Kost war leicht, aber gewürzt. Ich liebe gute Hausmannskost! …
S. 82 (29. Januar 1924) … Stirner will nicht weiter. Bin innerlich zu beschäftigt. …
S. 88f (6. Februar 1924) … Ich komme im Stirner weiter. Beweisführung manchmal gezwungen, Buch liegt mir nicht allzusehr. Aber es hat Linie. Ist konsequent. Das ist schon unendlich viel. Stirner beweist, daß der Einzige und sein Egoismus allein Recht haben in der Welt. Nun, dann beweise ich, daß wir uns schämen müssen, Menschen zu heißen. Wie eng nimmt er das Christentum. Klebt am Äusseren, Dogmahaften. Hat den Geist der christlichen Idee, die überall anders nur nicht in den Konfessionen zu Hause ist, gar nicht erfaßt. Ich setze dem aktiven das passive Heldentum entgegen. Ist es nicht gerade so stark, nicht noch stärker als jenes? Ist Christus nicht auch ein starker ganzer Mensch gewesen, war er nicht der „Einzige“ des Alteruismus [!]? Wie viel verdanke ich Dostojewski!