Michel Onfray fiel mir erstmals auf als Autor eines Buches......
Michel Onfray ist ein französischer Philosoph im mittleren Alter (geb. 1959), der erst mit dreissig Jahren zu publizieren begann und bis heute (2003) ausser zahlreichen Artikeln, Einleitungen etc. bereits über zwanzig Bücher veröffentlicht hat.
Die ersten drei Bücher Onfrays wurden dank eines Abkommens, das 1985 zwischen der Wissenschaftsstiftung "Maison des Sciences de l'Homme" und dem Frankfurter Campus-Verlag geschlossen wurde, jeweils nur ein Jahr nach Erscheinen von Eva Moldenhauer ins deutsche Übertragen und bei XXXXX verlegt. Danach erschienen weitere Titel von ihm bei Elster, Merve, Ritter und Klett-Cotta, insgesamt derzeit acht Titel. Auch in andere Sprachen – insgesamt zwölf, darunter chinesisch und japanisch, bemerkenswerterweise englisch nicht – wurden einige seiner Bücher Übersetzt, insgesamt bis Ende 2003 Über vierzig Ausgaben. Er ist deshalb wohl als philosophischer Erfolgsautor zu betrachten.
Onfray stammt aus einer Landarbeiterfamilie. Mit zehn Jahren schickten ihn seine Eltern in ein Internat, das von Salesianern betrieben wurde. Später arbeitete er als Aushilfskraft in einer Käsefabrik, dem einzigen "Arbeitgeber" im Dorf seiner Herkunft. Er schildert die Demütigungen, die ihm durch Priester und Vorarbeiter zugefügt wurden, in der Einleitung zu seinem Buch "Politique du Rebelle. TraitŽ de rŽsistance et d'insoumission" (deutscher Titel: "Der Rebell. Plädoyer für Widerstand und Lebenslust"), dem er das Zitat "Verhasst ist mir das Folgen und das Führen" aus Nietzsches "Die fröhliche Wissenschaft" als Motto voranstellte.
Seine angeborene "anarchische Ader", die ihn oft in die Revolte trieb und jene Jugenderfahrungen unzerbrochen Überleben liess, hat er auch in der Zeit seines Studiums und der anschliessenden Tätigkeit als Gymnasiallehrer nicht verloren, so dass er schliesslich im Alter von XX Jahren noch die Kraft hatte, seine sichere Stelle zu kündigen und, gestützt auf die Einnahmen, die er durch seine gut verkäuflichen Bücher hat, in Caen eine private (Volks-)Hochschule ins Leben zu rufen.
In Internat und Fabrik war er mit seiner Unbotmässigkeit auf sich allein gestellt. "Erst spät, im Alter von siebzehn Jahren, habe ich entdeckt, dass es einen Archipel der Rebellen und Unbeugsamen gibt, einen Kontinent der Widerständigen und der Aufsässigen, die man als Anarchisten bezeichnet. Stirner war mir ein Lebenselixier, Bakunin ein Blitz, der durch meine Jugend fuhr. Seit ich jenes libertäre Land betreten habe, frage ich mich unaufhörlich, wie man sich wohl heute das Beiwort anarchistisch verdienen könne ... wie wohl ... weit entfernt von den politischen Optionen, die aus dem 19. Jahrhundert stammen ... am Ende dieses Jahrtausends eine libertäre Philosophie aussehen könnte." (Rebell, S. 10)
In Studium und Lehrtätigkeit hatte Onfray also zwar den Rückhalt durch historische Figuren und Schriftsteller wie Stirner und Bakunin. Nur war es ihm klar, dass deren Opposition nicht ohne weiteres auf die heutige Zeit, nach den "Straflagern des Marxismus-Leninismus", nach den "Metamorphosen des Kapitalismus" und, vor allem, "nach dem Mai '68" Übertragbar ist. (ebd.) Offenbar, weil er mit dem, was andere zeitgenössische Autoren zu dieser Thematik zu bieten hatten, nicht zufrieden war, begann Onfray selbst zu schreiben und seit 1989 zu publizieren.
Onfrays erstes Buch war eine Monographie Über einen vergessenen Autor: "Georges Palante. Essai sur un nietzschéen de gauche." Palante (1862-1925) gehörte zur ersten Generation der französischen Nietzscheaner und war einer der ersten "Linksnietzscheaner" Überhaupt. Onfray sah sich als Palantes Nachfolger und gab im Laufe der Jahre eine Reihe seiner Schriften neu heraus. Insbesondere wurde er durch Palante zum Nietzscheaner: fast jedem seiner eigenen Bücher stellte er als Motto ein Nietzsche-Zitat voran.
Zugleich verfolgte er sein Ziel, eine zeitgemässe anarchistische Position zu begründen. Er nannte diese zunächst einen linken Nietzscheanismus, bald darauf einen hedonistischen Materialismus und seit Mitte der 90er Jahre schlicht Hedonismus. Diesen arbeitete er auf verschiedenen Teilgebieten aus: in dem Buch "La sculpture de soi" (Ethik), in "Le désirait être un volcan" (Erotik), "Anti-Manuel de Philosophie" (Pädagogik) u.a.
Onfrays Theoriebildung ist im Hinblick auf das LSR-Projekt, das auf die sonst nirgendwo im Zusammenhang gesehenen Autoren La Mettrie, Stirner und Reich fokussiert ist, insofern von besonderem Interesse, als er einige Jahre nach seiner frühen enthusiastischen Begegnung mit Stirner ein Buch schrieb, das als eine Huldigung an den auch in Frankreich nur wenig bekannten La Mettrie angesehen werden kann: "L'art de jouir". Das Buch trägt nicht nur den Titel eines Buches von La Mettrie; es beginnt auch mit einem "Tombeau pour La Mettrie", in dem er ihn, um seine Wahlverwandtschaft zu unterstreichen, scherzhaft Julien Onfray de La Mettrie (statt recte: Offray) nennt. Wenig später gab Onfray La Mettries 250 Jahre alte Schrift gleichen Titels heraus und betonte in seiner Einleitung die Aktualität von dessen "hedonistischem Materialismus".