Schnipsel (nicht verwendete Passagen aus dem Artikel „Vade retro!“, 2016)
BERND A. LASKA, aus dem LSR-Archiv
Schon der Ton der ersten Briefe zeigt die Dominanz, die Marx in dieser Partnerschaft ausübte. So war auch die Schrift Die heilige Familie, die primär ein Projekt von Marx, in der er gegen seinen ehemaligen Mentor an der Bonner Universität, Bruno Bauer, und dessen Berliner Kreis polemisierte. Engels wunderte sich, dass Marx die geplante Broschüre zu einem ([…]) und zudem darauf bestand, dass sie beide - obwohl er nur etwa ein Zehntel des Textes beigetragen hatte - als Autor firmieren sollte.
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Und Stirner selbst? Über sein Leben und Denken nach 1848 ist fast nichts bekannt: es gibt keinen Nachlass, keine Briefe, keine weiteren Stellungnahmen zu seinem Einzigen und zu dessen Kritikern. Der Einzige blieb bis in die 1890er Jahre verschollen.
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Ihre Folgenschwere bestand also nicht darin, wie man erwarten könnte, dass Marx Stirner widerlegt oder „überwunden“ hätte, sondern dass er sich durch Stirner gezwungen sah, seine Anhängerschaft zu Feuerbach aufzugeben und seine originäre philosophische Position zu konzipieren, den später, 1892, von Engels so genannten Historischen Materialismus.
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Dass Stirner in der Ideengeschichte als Randständiger oder gar als Paria gilt, bedarf keiner Belege. Dies wurde nur sehr selten problematisiert. ([…]) Wenn es denn, wie allgemein angenommen, auf der Frivolität und geringen thematischen Relevanz des Einzigen beruht, so muss allerdings verwundern, mit welcher Vehemenz Stirners Ideen bis heute immer wieder auch von renommierten Denkern zurückgewiesen wurden. Einige dieser Repulsionen werde ich Revue passieren lassen, bevor ich auf die vier genannten Denker des 19. Jahrhunderts näher eingehe. Dabei werden auch die Dezeptionen, die Täuschungen und Selbsttäuschungen über die Ideen Stirners, zumindest in Umrissen kenntlich.
Damit wird auch deutlich werden, dass der zunächst reißerisch klingende Titel dieser Arbeit, berechtigt und sachlich vertretbar ist. "Vade retro!" steht nicht nur für die leicht belegbare Repulsion der Ideen Stirners, genauer: deren Wesenskern, sondern auch dafür, dass dieser von Denkern "nach der Aufklärung" als Inbegriff des Bösen wahrgenommen wurde. Vom Teufel, vom Bösen, von Satan ist dabei eher selten die Rede, selten auch später von populären Surrogaten wie "Hitler“, sondern meist von komplexen, manchmal umständlich verklausulierten säkularistischen Äquivalenten.
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oder wurde, wie ein Zeitgenosse notierte, von denen, die es anging, „sekretiert“. ([…]) Seine Wirkung war dennoch immens, allerdings klandestin und indirekt. Zwei später zu epochaler Wirkung kommende Denker, Karl Marx und Friedrich Nietzsche, wurden in ihren Anfängen mit Stirners Ideen konfrontiert und reagierten auf eine auch in der späteren Stirner-Rezeption oft anzutreffende Weise: nicht öffentlich diskursiv und argumentierend, sondern spontan abwehrend und verdrängend, dies sowohl im psychologischen als auch qua eigener Theoriebildung im ideengeschichtlichen Sinn. Dazu später mehr. Ebenfalls weichenstellend in ihrer intellektuellen Biographie wirkte die Konfrontation mit dem Einzigen bei dem im Nachmärz sehr erfolgreichen Philosophen Eduard von Hartmann. Wenig bekannt ist die Rolle des Einzigen in der Entwicklung Rudolf Steiners vom zunächst radikal aufklärerischen Philosophen zum Begründer der "Anthroposophie". Auch dazu später mehr.
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Die meisten - fast alle - Marxforscher haben den Sankt Max trotz seines gewaltigen Ausmaßes übergangen oder belächelt, jedenfalls eine ernste Auseinandersetzung strikt gemieden, n.b. sogar jene, die wie Louis Althusser ein besonderes Interesse für diese Phase der theoretischen Entwicklung von Marx ("coupure épistémologique") zeigten, in der er, avant la lettre, den Historischen Materialismus als originäre Doktrin des späteren Marxismus begründete. Der wahrscheinliche Grund ist nicht ohne weiteres zu benennen. Selbst Wolfgang Essbach, Experte auf diesem Gebiet, weicht nach klaren Detailanalysen einem klaren Resumé aus: Marx und Engels, damals Parteigänger Feuerbachs, sahen sich durch den Einzigen "genötigt ... , ihre bisherigen Auffassungen umzustürzen. Erst in der Übernahme und in der Abwehr Stirnerscher Ideen konnte das Denken von Marx und Engels, jenes Profil erreichen, das im Guten wie im Bösen orientierend für zahllose Marxisten und Antimarxisten der letzten 150 Jahre geworden ist. So kann Stirner als Geburtshelfer des Marxismus bezeichnet werden. Aber indem Marx und Engels die Kernidee Stirners, die 'Selbstangehörigkeit Meiner', verworfen haben, wurde Stirner zur bösen Fee an der Wiege des Marxismus." ([…]) Böse Fee ?!