Die "Wilhelm-Reich-Blätter", deren Gründer, Herausgeber und hauptsächlicher Autor ich war, erschienen von 1975-1982. Sie gehören zur Vorgeschichte des LSR-Projekts – und haben selbst eine Vorgeschichte (in meiner Biographie), die ich vorab kurz schildere.
Im Sommer 1965, als ich gerade "graduierter Ingenieur" der Staatsbauschule (später: Fachhochschule) Frankfurt/M geworden war, stand mir die zwangsweise Ausbildung zum Soldaten bevor. Ich ergriff deshalb die Möglichkeit, mich einer zusätzlichen Prüfung zu stellen, so die – fachgebundene – Hochschulreife zu erwerben, um an einer Technischen Hochschule weiter studieren zu können und die Einberufung zum Kriegsdienst zu vermeiden.
Zum Wintersemester 1965/66 schrieb ich mich an der TH München ein. Das Studium, das nicht als Aufbaustudium möglich war, sondern nur den regulären Gang erlaubte, liess mir genug Zeit, mich ausserhalb meines Fachgebietes umzusehen. Schliesslich war es der marxistische, längst von der SPD abgefallene SDS (Sozialistischer Deutscher Studentenbund), dessen Aktivitäten mir am meisten zusagten. Ich nahm an zahlreichen Kursen, Tagungen, Schulungen etc. teil, las viel und strebte im übrigen danach, meine "wissenschaftliche Weltanschauung" zu vervollkommnen. Seltsam erschien mir, dass es im Münchner SDS damals keine Studenten von der TH oder den naturwissenschaftlichen Fakultäten der Universität gab, nur "Geisteswissenschaftler" – was mich einerseits stets etwas auf Distanz hielt, andererseits auch wundern liess, warum, wie ich damals für ein Flugblatt schrieb, die Studenten von Naturwissenschaft und Technik nicht "die Rationalität, die sie in ihren Fächern anzuwenden gewohnt sind, auch auf die sonstigen Bereiche des Lebens anwenden."
Im SDS München kursierten, wohl aufgrund des Einflusses einiger Leute von der "Subversiven Aktion" (Kunzelmann, Böckelmann) und der Kontakte zu den SDS-Gruppen in Berlin und Frankfurt, schon damals einige Schriften von Wilhelm Reich – als hektographierte Abschriften, noch vor der Hausse der Nachdrucke 1968-71.
Grosse Teile der Reich'schen Texte, insbesondere der fachlich psychoanalytischen, konnte ich natürlich kaum beurteilen; aber es gab einige Passagen, die mich packten, die mich, so vage wie unabweisbar, einen gravierenden Unterschied spüren liessen zwischen der Position, die Reich vertrat, und den Positionen der anderen Autoren, die ich damals studierte: zu Freud und Marx (obwohl Reich in jenen Schriften als "Freudo-Marxist" auftrat), zu Adorno, Horkheimer, Herbert Marcuse, Erich Fromm und anderen, die (wie Reich) aus Marx und Freud schöpften und die merkwürdig verfahrene europäische Aufklärung neu fassen, fortsetzen und aktualisieren wollten.
Diese differentia specifica, die Reich als aufklärerischen, von Marx und Freud ausgehenden Theoretiker von den anderen absonderte, wurde freilich damals von Vielen bemerkt.